Symposium in Rom 2011

Thema: "Vergeltung im Film"

7. - 9. April 2011

"Vergeltung im Film - von Rache bis Vergebung"

Bericht von Petra Kohnen in der Funkkorrespondenz vom 15.04.2011

Der Hass der Wanderhure

Symposium im Vatikan zum Thema „Vergeltung im Film“ „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Die alttestamentliche Talionsformel fordert, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Dieser Wunsch nach Vergeltung für erlittenes Unrecht ist zutiefst menschlich. Wir spüren ihn zum Beispiel, wenn uns gut gemachte Filme emotional ansprechen. Wir können dann die Position von Entrechteten, Geschändeten und Verleumdeten einnehmen. Wir leiden mit ihnen, sinnen auf Rache, hoffen auf Bestrafung der Übeltäter und Rehabilitation der Opfer. „Vergeltung im Film – von Rache bis Vergebung“ lautete das Thema, über das sich nahezu 60 Autoren, Regisseure, Produzenten und Redakteure vom 7. bis 9. April bei einem Symposium im Vatikan auseinandersetzten.

Das vom Verein „TOP Talente“ (München) unter Federführung des Vorsitzenden Anton Magnus Dorn veranstaltete Diskussionsforum fand in Kooperation mit der Katholischen Fernseharbeit (Frankfurt/Main) zum sechsten Mal im Tagungszentrum des Campo Santo Teutonico statt. Zusammen mit Almuth Hammer (Planung und Stoffentwicklung der Bavaria Fernsehproduktion) wurde ein aufschlussreicher Bogen gespannt, unter dem das Thema mit Filmen gut illustriert und mit Vorträgen psychologisch eingeordnet wurde. Für die christliche Untermauerung sorgte dabei Pater Norbert Hofmann (SDB). Der Bibelwissenschaftler stellte gleich zu Beginn klar, dass die Talionsformel die Rachelust nicht schüre, sondern vielmehr mäßige: Nicht ein Leben für ein Auge, sondern nur ein Auge für ein Auge. Die Gewaltspirale werde damit unterbrochen, denn dem Opfer sei es untersagt, unverhältnismäßig böse zu reagieren.

Rache als Überlebensmotiv

Der Kino- und Fernsehfilm lebt jedoch aus der bewussten Überzeichnung. So ist der Schwur, sich zu rächen, Überlebensmotiv der Hauptfigur in der Literaturverfilmung „Die Wanderhure“ (Regie: Hansjörg Thurn), mit der Sat 1 bei der Erstausstrahlung am 5. Oktober vorigen Jahres 9,75 Mio (!) Zuschauer erzielte (Marktanteil: 31,2 Prozent). Laut Drehbuchautorin Gabriele Kister und Filmagentin Isabel Schickinger wurde es dem Publikum leicht gemacht, den Hass der Hauptfigur Marie Schächter (Alexandra Neldel) auf ihre Peiniger in der mittelalterlichen Welt nachzuvollziehen: Sie wird zwangsverheiratet, brutal vergewaltigt, unschuldig wegen Hurerei verurteilt, ausgepeitscht und verbannt. Sie bleibt sympathische Heldin trotz ihres Rachefeldzugs, auf dem sie sich prostituiert und intrigiert und sogar mordet, um vom König Wiedergutmachung zu erhalten.

Größeren Herausforderungen sehen sich die Zuschauer bei den beiden Kinofilmen „Kill Bill“ (Regie: Quentin Tarantino) und „Dogville“ (Lars von Trier) gegenüber, die die evangelische Theologin Inge Kirsner auf dem Filmsymposium miteinander verglich: Bill und „Die Braut“ sind ein Paar. Als die Schwangere einen Anderen heiraten will, lässt Bill die Hochzeitsgesellschaft massakrieren. Sie überlebt, arbeitet eine fünfstellige Todesliste ab und stammelt als lachende Siegerin letztlich: „Oh, danke Gott!“ Kirsner deutet dies als mögliches „Wissen darum, dass die Existenz sich letztlich nicht selbst“ verdanke. Während der Rachefeldzug bei „Kill Bill“ als „ästhetisches Vergnügen vorgeführt“ werde, mute er bei „Dogville“ an „wie ein Brechtsches Lehrstück“, das die Entwicklung von Gewaltstrukturen nachzeichne: Grace, die ihrem Vater, einem Mafioso, zeigen will, dass es sich lohnt an das Gute im Menschen zu glauben, wird von den Bürgern von Dogville aufs Grausamste geschändet und versklavt. Sie löscht im Rachewahn das gesamte Dorf aus und verliere damit, so Inge Kirsner, „den Glauben an das eigene Gute“.

Zivilisatorische Grundwerte

<PR>Die Diskussion mit dem Drehbuchautor Jürgen Werner über seinen Film „Zivilcourage“ (vgl. Kritik in FK 4/10) ging der Frage nach, wie sich zivilisatorische Grundwerte verteidigen lassen. Peter Jordan, ein Alt-68er und Besitzer eines kleinen Buchantiquariats in Berlin-Kreuzberg, zeigt in dem ARD-Film (Regie: Dror Zahavi) den jugendlichen Täter an, der einen Obdachlosen fast zu Tode tritt. Er hofft, dass Polizei und Gericht der gewaltbereiten Migrantenjugend ihre Grenzen aufzeigt. Da der Rechtsstaat jedoch kläglich versagt, scheut sich der rechtschaffene Jordan (dargestellt von Götz George) nicht mehr, die Regelverletzung mit Selbstjustiz zu vergelten.

Die Fragen in diesem Zusammenhang lauten: Kann eine Gesellschaft die Verletzung ihrer Regeln durch Einzelne oder Gruppen hinnehmen? Wie muss Strafe aussehen, ab wann ist Schuld gesühnt? Und wie darf der Themenkomplex filmisch umgesetzt werden? Darüber gab es im Panel eine kontroverse Diskussion mit Christian Balz (Vice PresidentPro Sieben, deutsche Fiction), Katrin Bühlig (Drehbuchautorin), Matthias Esche (Geschäftsführer Bavaria Film) und Pit Rampelt (Redakteur ZDF-Fernsehfilm). Laut Pfarrer Dietmar Heeg (Geschäftsführer von „TOP Talente“ und Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für RTL und Pro Sieben Sat 1) spielt das Gewissen dabei die zentrale Rolle.

Schwieriger Weg zur Vergebung

Wie sich der Umgang mit Rachegefühlen in Kinder- und Jugendfilmen darstellen lässt, vermochte die Produzentin Katharina Rietz (Saxonia Media Filmproduktion) am Beispiel der Kika-Serie „Schloss Einstein“ gut zu illustrieren: Die 16-jährige Tatjana rächt sich an ihrer Mutter, der Lehrerin Franka Steiner, die sie zur Adoption frei gegeben hat. Sie stellt sie im Internet bloß, schädigt ihren Ruf und verweigert sich jedem Erklärungsversuch ihrer Mutter. Mit diesem Rachefeldzug schadet Tatjana nicht nur ihrer sich quälenden Mutter, sondern vor allem sich selbst. Ihre Rache gelingt zwar, ihr Herz aber bekommt dadurch keinen Frieden.

Nach dem Jesuiten und Psychologen Prof. Hans Zollner von der päpstlichen Universität Gregoriana geht der Vergebung in der Regel ein schwieriger Prozess emotionaler und kognitiver Aufarbeitung voraus: 1. die Wahrnehmung (Existenz des Bösen in jedem), 2. die Annahme (Akzeptanz der eigenen Dunkelheit) und 3. die Verzeihung (Gnade öffnet den Versöhnungsweg). Der Gläubige erfährt letztlich durch das Zuteilwerden der Gnade und Liebe Gottes umfassenden Trost.

Die in Südafrika aufgewachsene Drehbuchautorin Stefanie Sycholt kommt in ihrem beeindruckenden Film „Ellas Geheimnis“ (ZDF/Arte 2010; Regie: Rainer Kaufmann) an den beschriebenen Versöhnungsprozess nahe heran: Ella kommt nach 40 Jahren zur Beerdigung ihrer Schwester wieder nach Kapstadt. Hier begegnet sie den Spuren ihrer „Apartheid Vergangenheit“. Sie war in den Schwarzen Ben verliebt und wurde von ihm schwanger – ein Tabubruch in Zeiten der Apartheid. Ben wurde von ihrem Onkel gehetzt und gefoltert, bis er daran starb. Ella musste das Mädchen zur Adoption freigeben und verließ das Land. Ella begreift, dass sie die Vergangenheit aufarbeiten und ihre Tochter finden muss, damit ihr Heilungsprozess beginnt.

Hier schließt sich der Kreis: Jesus geht in der Bergpredigt des Matthäus viel weiter als die Talionsformel: „Leistet dem, der euch etwas Böses tut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ Und das ist im Leben viel schwerer umzusetzen als im Film.

15.4.11 – Petra Kohnen/FK

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